Sonntag, 30. September 2012

schedule

Pazartesi | Montag
keine Lehrveranstaltungen


Halı | Dienstag
  9:00 - 12:00 - TV Commercial Practicum 
12:00 - 15:00 - Advertising Photography
16:00 - 18:00 - Turkish for Foreigners Stufe 2


Cumartesi | Mittwoch
  9:00 - 12:00 Advertising and Positioning

Perşembe | Donnerstag

13:00 - 16:00 Photography and Visual Techniques
16:00 - 18:00 Turkish For Foreigners Stufe 2

Cuma | Freitag

  9:00 - 12:00 Positioning Strategies in Advertising

Ich werde in nächster Zeit nach und nach ein bisschen was über die Unterrichtsqualität an der Yeditepe berichten, muss allerdings selbst erst einmal ein paar Erfahrungen dazu sammeln. 

DÜNYA!

"Excuse me, you dropped something!" 
Wir blieben stehen, drehten uns um. Der Verkäufer kam auf uns zu, bückte sich kurz - schaute uns dann an und presste die Hände ans Herz. "You dropped my heart", erklärte er mit melodramatischer Stimme. 
Das lag wirklich einfach nur irgendwo zwischen lächerlich und verdammt witzig; lachend zog ich Lena weiter. 
Lena. 
Lena? 
Ja, Lena. 
Lena aus Jena, Psychologie-Studentin, Potter-Nerd, Serien-Junkie, Hobby-Sarkastlerin und - meine beste Freundin. Kurz und knapp: Lena war in Istanbul, in der letzten Woche, von Dienstag- bis Samstagabend. 
"You two look very happy together", war der Kommentar eines Ladenbesitzers, an dem wir während unseres Streifzugs durch den Grand Bazaar vorübergingen, ihr zwei seht sehr glücklich zusammen aus. In der Tat, das waren wir. Sind wir. 
Es war zunächst ein ganz merkwürdiges Gefühl, die alte Heimat, die soweit vom neuen Leben entfernt ist, mit einem Mal in Stellvertretung meines Besuchs hier repräsentiert zu haben, aber auf keinen Fall im negativen Sinne. Und so gingen wir unseren alten Hobbies nach - erkundeten die Stadt, lebten in realitätsfernen Welten und verbrachten besonders viel Zeit damit, die Karte über meinem Schreibtisch anzustarren. 
Es gibt eigentlich nicht so viel zu berichten, das meiste können sich alle, die uns gemeinsam kennen, sicherlich denken. Belassen wir es einfach dabei, dass ich den 27. Dezember, wenn sie aller Voraussicht nach wiederkommt, nicht abwarten kann. 











Samstag, 29. September 2012

Momentaufnahmen

mit Mustafa
Mittag!
Idiotie zur Mittagszeit

Eleganz in Thermessos


Amphitheater
Essen in Antalya'scher Mensa
Lernalltag

Cay und Simit
Deutsch - Slowakin - Tschechin
Kollabierende Studenten
 im Prüfungsstress.
Ich starre auf den blinkenden Cursor, der das reine Weiß der leeren Word-Seite in seinem stetigen Rhythmus durchbricht, und versuche, mir eine gute Herangehensweise für einen neuen Blogeintrag zu überlegen. Eigentlich müsste ich schlafen, es ist kurz vor 12 am Mittwochabend. Ich bin gerade aus dem Kino gekommen, habe mir mit Christiaan einen Film angesehen. Morgen muss ich irgendwann vor sieben aufstehen, da um 9 meine Uni beginnt und ich ausnahmsweise mal pünktlich sein möchte. Bis auf das Tippen der Tasten und gelegentlichen Geräuschen auf der Straße, dem Quietschen von Reifen, dem Hupen der Dolmuş‘, ist es vollkommen still hier. Ich habe eine ruhige Wohnung gefunden. Doch wie kann ich deutlich machen, mit was für einer Flut an Impressionen ich in den letzten Wochen überrollt wurde? Kann ich nicht. Ich kann nur kleine Einblicke geben, Momentaufnahmen, Bildausschnitte aus meiner Wahrnehmung und Erinnerung.

Antalya’dan | Aus Antalya


„…Und darum bitte ich euch, die Türkei in euren Heimatländern zu unterstützen, damit wir in die Europäische Union kommen können! Vielen Dank, dass ihr die Türkei gewählt habt.“

Höfliches Klatschen ertönt. Ich sehe mich im Saal um und sehe viele höflich dreinschauende Gesichter. Die Rede des ersten wichtigen Anwesenden an diesem Tag (wichtig als subjektive Bezeichnung aus der Sicht des Organisators, meines Lehrers Ümit – ich habe mir nicht einmal die Positionen für fünf Minuten lang merken können) ist vorüber, eine zweite folgt sofort, diesmal allerdings in türkischer Sprache. Der Sprechende scheint sich allerdings nicht darüber im Klaren zu sein, dass man nach drei Wochen Sprachkurs noch nicht fähig ist, ganzen Reden zu folgen. Außerdem blendet er erfolgreich aus, dass man auch nicht mehr Wörter versteht, wenn er die ganz langsam ausspricht. Aber er meint es gut. Nach der Eröffnung werden die Sprachzertifikate überreicht, eine aufwendige Mappe mit dem Wappen der Universität und einem einzigen Blatt Papier darin, das bescheinigt, dass ich „erfolgreich am Intensivsprachkurs teilgenommen“ habe. 
Wie übrigens jeder andere aus dem Kurs.

„Ich kann nicht glauben, dass wir die anderen wirklich nie wieder sehen!“
Annikas Stimme spiegelt wider, wie schwer ihr diese Vorstellung fällt, und wie nah sie ihr unerwarteterweise geht. „Ich realisiere das erst jetzt…“ Ich nicke abwesend und starre auf den Boden, während ich neben ihr durch die brütende Mittagshitze laufe. Ich habe mich an diese Art Abschied gewöhnt, rede mir ein, dass man davon viele im Leben hat. Die Wahrheit ist, dass ich mich einfach nicht weiter damit auseinandersetzen will. „Aber wir haben ja immer noch die Party bei Markus heute Abend“, wende ich schlussendlich ein, „vielleicht sollten wir hingehen.“ Annika stimmt zu.

„Ich gehe.“
Ich schaue Recep ein wenig bedauernd an. In den letzten Wochen sind wir zu einer merkwürdigen Art Freunde geworden. Die Art Freunde, bei der die Kommunikation aufgrund von Sprachbarrieren (brüchiges Englisch und Anfängertürkisch) eingeschränkt ist und die achtzig Prozent der Zeit damit verbringen, sich gegenseitig niederzumachen. Keine sonderlich emotional nahegehende Verbindung, und doch habe ich dieses Geplänkel zu schätzen gelernt.
Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, einen Sekundenbruchteil lang etwas wie Bedauern in seinen Augen aufblitzen zu sehen, ehe er es wie immer mit seinem rüpelhaften Verhalten überspielt und mir gespielt cool die Hand reicht. „We will meet again“, erkläre ich ihm, denn in diesem Moment steht für mich nichts mehr fest als dass ich wieder nach Antalya kommen muss, das paradiesische Antalya, diese wunderschöne Stadt mit dem bezaubernden Yachthafen und der wunderschönen Altstadt und den Strandbesuchen im Mondlicht und den herzlichen Menschen und und und … „Bye.“ Er nickt mir zum Abschied zu, dann drehe ich mich um - und gehe. 


İstanbul’a | Nach Istanbul

İyi günler. Bugün otobüs İstanbul’a var mı?” Guten Tag. Gibt es Busse, die heute nach Istanbul fahren? Ich lächele die Frau vor mir unsicher an. Sie hakt nach, wann genau ich fahren möchte, und sucht dann in ihrem Computer Verbindungen, die sie mir anschließend auf einen kleinen Zettel schreibt. 21:30 Uhr – 9:30 Uhr. Ich schüttele den Kopf, frage versehentlich, ob es spätere Verbindungen gibt, bis mir auffällt, dass ich die Vokabeln verwechselt habe und in Erfahrung bringe, dass an früheren Bussen einer um 18:00 vom Busbahnhof in Antalya abfährt. Es gibt genau einen freien Platz, Sessel 11. Kosten der Fahrt: 65 Lira. Wunderbar, den nehme ich.  Mithilfe unserer Zettelkommunikationsmethode teilt mir die nette Mitarbeiterin der Busagentur Metro noch mit, dass ich um 16:45 vor dem Büro stehen soll, um dann mittels eines Shuttle-Busses zum Busbahnhof transferiert zu werden. Ich schaue auf die Uhr. Das heißt, vier Stunden Zeit. Vielleicht sollte ich in Betracht ziehen, allmählich meine Sachen zu packen. Ich nicke, um mein Verständnis anzuzeigen, dann verabschiede ich mich und gehe. Zum Schluss fragt mich die gute Frau noch in typisch türkischer Manier darüber aus, an welcher Uni ich denn in Istanbul studieren werde. Yeditepe. Für fünf Monate. Ich studiere Medien. Medien. Mä-di-jen? Fernsehen, Radio, Internet...? Beim vierten Anlauf versteht sie, was ich damit meine.

“Affedersiniz? İstanbul’a gidiyor musunuz?“ Entschuldigen Sie, fahren Sie nach Istanbul? Der Mann in weißem Hemd mit „Metro“-Aufdruck nickt bestätigend. Ich gebe ihm meine Koffer, die er wie an Flughäfen mit einem Etikett versieht und im Kofferraum verstaut, dann steige ich in den Reisebus. Es ist noch nicht einmal Sechs, aber ich fühle mich bereits jetzt ausgelaugt. Im Bus, der noch vollkommen leer ist, als ich einsteige, erwartet mich eine positive Überraschung: ich habe einen Fernseher im Sitz! Türkisches MTV, melodramatische Telenovelas, merkwürdig synchronisierte Hollywoodfilme!

Ich atme tief durch. Schaue wieder auf die Uhr. 9:05. Die Zeit lässt mir wirklich keine Gnade. Ich stehe hier, irgendwo im Nichts, und weiß weder, wo ich hinmuss, noch, wo genau ich gerade bin oder wo ich war, bevor ich von dem netten Busfahrer, der festgestellt hat, dass ich vom Busbahnhof den falschen Shuttle genommen habe, in diesen Bus gesetzt wurde. Ehrlich, wenn meine Ankunft in Antalya damals chaotisch war, dann ist meine Ankunft in Istanbul eine komplette Katastrophe. Ich bin übermüdet, ich habe keinerlei Orientierung, ich weiß nicht, wo ich hinmuss, ich bin zu spät. In fünfunzwanzig Minuten beginnt die Eröffnungsveranstaltung an der Yeditepe-Universität und ich befinde mich hier mit meinen beiden superschweren Koffern, die ich eigentlich in Kadıköy bei einer Freundin unterstellen wollte, ehe ich zur Uni muss, im Nichts. Oder vielleicht auch nicht, das weiß ich ja eben nicht. Noch einmal tief durchatmend raffe ich meine Kräfte und meine Koffer und ziehe los. Was soll’s, denke ich mir, ich nehme mir einfach ein Taxi. Ich verlasse den kleinen Bushof und steuere zunächst ein paar Schritte nach rechts, wo auf einer großen Stadtautobahn die Fahrzeuge an mir vorbeirasen. Nein, eher nicht, entscheide ich, und gehe stattdessen nach links, und tatsächlich, nach ein paar hundert Metern finde ich tatsächlich ein Taxi. Zwanzig Lira, so der Fahrer, kostet die Fahrt zur Uni. Ich verlange die Verwendung des Taximeters. Am Ende zahle ich dreißig.


İstanbul’da | In Istanbul

Die Yeditepe Üniversitesi ist groß. Ich weiß nicht, ob ich schon einmal erwähnt habe, dass es sich bei ihr um eine der vielen privaten Universitäten in Istanbul handelt, aber man sieht ihr an jeder Ecke an, dass die Architekten und Betreiber eine Menge zur Verfügung haben. Um das große Eingangstor passieren zu können, muss man durch einen Metalldetektor gehen und dem Sicherheitspersonal im Vorbeigehen den Studentenausweis zeigen. Auf dem Campus, der sehr grün gehalten ist und von diesen modernen Häusern im hässlichen Orange dominiert wird, muss man zunächst einmal einen Hügel hinuntersteigen, um zu den Lehrgebäuden zu kommen – allerdings kann man dies auch mit einem der vielen Minibusse tun, die dort ständig im Kreis fahren und alle lauffaulen Studenten (entschuldigt die Wortwiederholung) an ihre Ziele bringen. In den einzelnen Fakultätsgebäuden gibt es auch noch einmal überall Security an den Eingängen, allerdings meist in Form eines oder zweier Wachmänner hinter einem Schreibtisch. Und dann die Hunde! Überall auf dem Campus gibt es große Hunde. Schwarze, braune, gelbe, zottelige und kurzhaarige. Allesamt zahm und wohlgenährt und tierisch faul.

 „Daniel?“ Meine Stimme klingt genauso überrascht, wie der junge Mexikaner, der sich auf meinen Ausruf hin umdreht, aussieht.
„Hey, was machst du denn hier?“ Er kommt auf mich zu und umarmt mich.
„Ich wohne hier.“ Mit einer Hand deute ich auf das Zimmer, das ich gerade verlassen habe – den Mädchenschlafsaal mit sechs Betten im Hush Hostel. Wir unterhalten uns ein paar Minuten lang über unsere individuellen Reisen nach Istanbul – wir haben gemeinsam den Sprachkurs in Antalya gemacht und sind dort so etwas wie Freunde geworden – und er eröffnet mir, dass auch ein paar andere Sprachkursteilnehmer im Hostel untergebracht sind und waren. Es ist noch immer mein erster Tag in Istanbul, ich bin noch immer müde – und dennoch entscheide ich, seine Einladung, gemeinsam mit ihm und zwei seiner Bekannten aus dem Hostel essen zu gehen, anzunehmen. Man muss sich ja immer sozialisieren. Wenn ich doch zu diesem Zeitpunkt schon gewusst hätte, wie unglaublich bezeichnend dieses Wort für meine ersten Wochen in Istanbul werden würde.

Das erste, das mir auffällt, als ich in den Flur trete, sind Massen an Schuhen. Frauenschuhen. Sie stehen auf Regalen entlang der Flurwand, bestimmt fünfzig Paare. Meine potentielle Vermieterin, die sich als Burcu vorgestellt hat, lächelt entschuldigend, als sie sieht, wie ich ihre Sammlung mustere, dann zeigt sie mir ihre Wohnung. Ich habe die Annonce für dieses Apartment nicht auf Craigslist gefunden, wie viele andere meiner Erasmuskollegen, sondern bei Couchsurfing. Das Zimmer, welches ich mir hier anschaue, hat mir auch auf den Bildern im Internet sofort gefallen. Die Wohnung ist klein, aber liebevoll eingerichtet und sauber. Bad und Küche sind in gutem Zustand, es gibt alles, was das kochende Herz begehren könnte und der riesige Kühlschrank ist so gut wie leer. When will you tell me if you take the room?, fragt mich Burcu am Ende ihrer kleinen Tour. Wann wirst du mir mitteilen, ob du das Zimmer nimmst? Ich lächle nur, ein wenig verlegen. Ich habe mich bereits entschieden es zu nehmen, antworte ich ihr.

Das Büro meiner Fachbereichkoordinatorin, das eigentlich nur ein halbes Büro ist, ist in erster Linie eines: pink. Rechts von ihrem Computer befindet sich ein pinkes Drehscheibentelefon, links stehen in einem Stiftehalter Hello-Kitty-Schreibutensilien. An der Pinnwand neben dem Schreibtisch hängen Kinderzeichnungen. „Ich schreibe gerade an meiner Doktorarbeit“, erzählt uns die Koordinatorin, die neben ihrem blondierten Haar und der dichten Parfümwolke auch noch über ein perfekt durchkomponiertes Outfit in den schönsten Pastelltönen verfügt, während sie darauf wartet, dass einer der Professoren sie anruft. Sie will ihn fragen, ob Iva – eine tschechische Kommilitonin – und ich einen der Kurse ihrer Abteilung belegen können, ob er in Englisch angeboten wird. Die letzten Tage waren in dieser Hinsicht mehr als ermüdend. Ich will eigentlich nicht mehr Zeit als nötig in diesem Büro verbringen, weil die gute Koordinatorin jeden Tag gegensätzliche Aussagen und Informationen für uns bereithält, aber dies alles hinter ihrer lieben Fassade kaschiert. Und doch bin ich nun schon das fünfte Mal hier und muss meinen Stundenplan schon wieder überarbeiten, damit das Learning Agreement unterschrieben werden kann. Bürokratie ist einfach wundervoll.

“Do you think it is inappropriate to lie down here?”
Ich zurre unsicher an dem unfamiliären Stoff auf meinem Kopf, während ich bewundernd an die Decke der Blauen Moschee schaue, und denke über Christiaans Frage nach. Ob es unangebracht ist, sich in einer Moschee im Touristenbereich auf den Boden zu legen? Nun, wer weiß.  Fakt ist, dass mich die Antwort in keinem Fall wirklich davon abhält, mich einfach auf den Boden zu legen, und das tue ich. Und so liegen wir schlussendlich nebeneinander in der berühmtesten aller Moscheen, dem Heiligtum des Islams, und bewundern die Fliesenmosaike an der Decke, die so blau nun auch wieder nicht sind.