Freitag, 21. Dezember 2012

mission: eindruck schinden

Es ist inzwischen schon einen ganzen Monat her, dass ich mich morgens aufmachte, eine besondere Mission zu erfüllen. Dass ich auf die Fähre nach Europa stieg, hinterher die Tram von Eminönü aus nahm und bei Zeytinburnu in die Metro wechselte. Gesamtreisezeit: etwa anderthalb Stunden. Endhaltestelle: der Atatürk-Flughafen, der große internationale Flughafen auf der europäischen Seite Istanbuls. 
Ich war ein bisschen spät dran, darum standen sie schon ein paar Minuten lang im Ankunftsbereich, als ich mit großen Schritten die Halle durchquerte und unter den vielen dort wartenden Menschen nach bekannten Gesichtern Ausschau hielt. 
Mein Vater sah mich als erstes, aber er war schon immer besser darin Ausschau zu halten, als der Rest der Familie. Ich begann zu grinsen, als ich ihn sah - und dann tauchten auch Jessi und meine Mutter neben ihm auf und dann waren da nur Wiedersehensfreude, Umarmungen und sogar ein paar Tränen.
Es war ein ganz merkwürdiges Gefühl, sie auf einmal hier zu haben, meine Familie. Meine Heimat in dieser fremden Welt zu Besuch zu sehen, in der ich mich so bequem eingerichtet hatte. Aber wie auch schon bei Lena war es einfach eine wundervolle Gelegenheit, ihnen diese meine neue Erfahrungswelt nahezubringen, eine Chance, die ich wirklich zu schätzen wusste (und weiß) und in Anbetracht der Tatsache, wie viel pessimistische Rückmeldung ich im Vornherein auf meine Entscheidung, in der Türkei studieren zu wollen, bekommen hatte, wirklich zu nutzen entschlossen war. Und so verschmolzen die nächsten Tage beinahe in einer Überblendung der verschiedenartigsten Eindrücke ineinander: Frühstück im Hush-Hostel. Der Grand Bazaar. Hagia Sofia. Die blaue Moschee. Fähren. Die neue Moschee. Gewürzbasar. Dolmuş-Fahrten. Çay. Baklava. İskender. Ortaköy. Kumpir. Bosporus-Tour. Shopping-Center. Beşiktaş. Bağdat Caddesi. Kadıköy. Zurma-Dürüm. Dolmabahçe. Türkisches Brot. Rumeli Hisarı. Und selbstverständlich all die Male, die ich mit meinen frisch gebackenen Sprach- und Ortskenntnissen geglänzt habe - oder es zumindest versuchte. 


Dienstag, 18. Dezember 2012

mittelerde - oder auch nicht

"Wir haben hier keine Reservierung für acht Personen." Die Mitarbeiterin des Kinos blickt von ihrem Bildschirm auf und schaut mich gelangweilt an. Es könnte ihr nicht egaler sein. 

Ich starre sie ungläubig an und versuche zu herauszufinden, ob ich sie vielleicht missverstanden habe. Ob sie vielleicht etwas anderes gesagt hat - mein Türkisch ist schließlich noch immer nicht wirklich gut - aber nein, hat sie nicht. "Wenn Sie Ihre reservierten Karten abholen wollen, dann brauchen Sie den Code, den Sie am Telefon erhalten haben." 
"Aber wir haben nicht per Telefon reserviert!", erkläre ich ihr zum fünften Mal. "Wir waren am Samstag hier und haben es vor Ort gemacht!" Sie schüttelt nur erneut teilnahmslos den Kopf und ich gebe auf - meine Türkischkenntnisse reichen hier nicht aus und es lässt sich so oder so nichts machen, da die Vorstellung für den Hobbit komplett ausverkauft ist. Schon wieder. 

Niedergeschlagen kehre ich zu meiner Gruppe zurück und erkläre die Situation. Cansu kommt im Kino an, versucht es als Muttersprachlerin ebenfalls noch einmal - erfolglos. Unser Kinoabend wäre damit endgültig geplatzt. Die Stimmung ist zunächst im Keller, doch Nienke bietet an, dass wir einfach ein bisschen Bier kaufen und bei ihr in der Wohnung sitzen könnten. Christiaan, Jessica und ich kommen dem nach, die anderen - Cansu, Nate - der Amerikaner - und Fabio sowie Carolina - die Portugiesen - kehren einfach wieder nach Hause zurück. 

Als ich die Wohnung von Nienke betrete, die sie sich mit elf anderen Erasmus-Studenten teilt, begrüßt mich Ahmed, Türke, indem er den anderen Anwesenden lautstark verkündet: "Dieses Mädchen ist unglaublich gut in Türkisch. Ernsthaft, incredible. Und das in nur vier Monaten!" Vier einhalb, aber das sage ich nicht laut. Er verwickelt mich in eine Konversation auf Türkisch, fragt mich, was ich am Tag gemacht habe und was ich gegessen hätte - Anfängerniveau. Nichtsdestotrotz sind alle anderen Anwesenden beeindruckt, zu meinem Leidwesen. Ich bin nicht einmal stolz auf meine Leistung, aber es ist anscheinend mehr, als sie vollbringen könnten. Nun ja. Der Abend vergeht ziemlich schnell, es ist eine entspannte Runde inmitten von Menschen, die mir in den letzten drei einhalb Monaten in Istanbul ernsthaft ans Herz gewachsen sind. Einige werde ich bald nicht mehr wieder sehen, die ersten "Lebe Wohl"-Sagungen stehen kurz bevor. Ein Gedanke, der mich wirklich wehmütig macht. 



Dienstag, 27. November 2012

tandem!

Çekoslovakyalılaştıramadıklarımızdan mısınız?

Als ich vor vielen Wochen in einer Couchsurfing-Gruppe ein Wohnungs-Gesuch postete, hatte ich eigentlich auf Angebote zum Wohnen gehofft. Dass ich anstatt selbiger kurz darauf ungefähr fünfzig Nachrichten anderen Betreffs in meinem virtuellen Postkasten finden konnte (man darf sich die Bandbreite hier sehr weit vorstellen. Von 'Hey, du bist in Istanbul? Super, lass' mal treffen!' über 'Ich gehe am Sonntag auf Fototour, komm doch mit' bis hin zu 'Wenn du mal was brauchst, meld dich' war eigentlich alles dabei), kam eher unerwartet. Und doch, eine dieser Nachrichten kam von Batuhan, in deutscher Sprache. Er wäre gerade nach einem zweimonatigen Deutschlandaufenthalt in die Türkei zurückgekehrt, schrieb er. Er lerne Deutsch und könnte mir mit Türkisch helfen, wenn ich interessiert wäre. Klingt plausibel, dachte ich. Er war der einzige, dessen Nachricht ich beantwortete, und nach einigem Hin und Her hatte ich dann tatsächlich einen Sprachlernpartner. Einen ganz offiziellen. 
Ich habe Deutsch eigentlich immer als schwere Sprache betrachtet. Ernsthaft, all diese Dinge, die man beachten muss, all die Muttersprachler, die an ihr scheitern! Aber nein, nicht Batuhan. Nach eigener Aussage lernt er die Sprache seit etwas mehr als einem Jahr, aber davon ist nichts zu merken. Hin und wieder kommt es vor, dass mein von stundenlangem Vokabellernen für Türkisch und der ständigen Penetration in Englisch geschädigtes Gehirn nicht mit den richtigen Übersetzungen aufwarten konnte, mein selbst ernannter Türkischlehrer allerdings schon. Verrückt. In unserer aktuellsten Sitzung habe ich fünfzehn Minuten lang versucht, eines der längsten türkischen Worte (siehe oben) auswendig zu lernen. Ich bin jetzt quasi in der Lage, einen völlig sinnlosen Zungenbrecher aufzusagen, mit dem nicht einmal die meisten Muttersprachler zurechtkommen. Wenn das mal nichts ist. 

Montag, 26. November 2012

ach, übrigens

Wenn man in der Türkei studieren möchte, dann muss man eine Prüfung ablegen. Anders als in Deutschland ist nicht die Abschlussnote aus der Schule entscheidend, wenn es um die Wahl der Universität geht, sondern eine dreistündige Prüfung, deren Ergebnis die Eintrittskarte zu den Eliteuniversitäten des Landes sein kann - oder selbige für immer unzugänglich macht. In Istanbul gehören unter den privaten Universitäten die Koç Üniversitesi und die Sabancı zu den elitären Orten, für die das Ergebnis der erwähnten Prüfung wirklich gut sein muss, die Yeditepe ist eher im Mittelfeld anzusiedeln. Und auch, wenn das Äußere meiner Gastuniversität sehr ansprechend erscheint, so ist doch hinter der gepflegten Fassade und der modernen Ausstattung nicht viel Qualität zu finden, zumindest meiner Erfahrung nach. 
Das universitäre Niveau ist in keiner Weise mit dem in Deutschland zu vergleichen, der Anspruch an die zumeist (Achtung, Verallgemeinerung) wohlhabenden und verwöhnten Studenten eher entspannt. Und so kommt es dann, dass wir mitten im Semester, und das noch kurz nach der Zeit der Midterms, einfach mal eine Woche frei bekommen, weil anscheinend viele der Lehrer durch das Land reisen und die Universität bewerben. Ist ja schön und gut, aber eine ganze Woche ohne Unterricht, nur, damit ein paar der Lehrer Werbung machen gehen können? Interessante Mentalität. 
Unterm Strich ist es doch wieder gut für mich, denn so muss ich diese Woche keinen Finger krümmen und kann mich ganz um all die Dinge kümmern, die ich so oder so schon viel zu lange mal machen wollte. Meinen Weblog aktualisieren zum Beispiel. Und ohne Grund bis fünf Uhr morgens aufbleiben. Schweres Studentenleben!

neunundzwanzigster oktober

Der neunundzwanzigste Oktober ist ein Feiertag in der Türkei, ganz ähnlich dem dritten Oktober in Deutschland oder dem oder dem vierten Juli in den USA. Und doch gibt es da ein paar Unterschiede in der Art, wie Regierung und Volk diesen ihren Tag wahrnehmen und nutzen.

Ein Land feiert sich selbst - und seinen Helden

Fährt man am sogenannten Tag der Republik durch Istanbul, dann fällt auf, dass das normalerweise bereits sehr lebendige Stadtbild an diesem Tag noch farbenfroher erscheint. Wo sonst hin und wieder die eine oder andere türkische Flagge zu sehen ist, lassen sich plötzlich ganze Häuserfronten finden, die in rote Teppiche mit Stern und Halbmond darauf eingekleidet sind. Überall hängen Wimpel, Fähnchen, Flaggen und Lichterketten - und jede einzelne Fußgängerüberführung über den Highways trägt deutlich lesbare Spruchbanner mit den Worten "Herzlichen Glückwunsch zum 89. Jahrestag unserer Republik!". Ein Land, in innigster Liebe zu sich selbst. Eine Regierung, vollkommen hinter den Bürgern stehend. Ein Tag, voller Schein und Sein und reinster Glückseligkeit. Nicht wahr?
Es ist nun schon 89 Jahre her, dass Mustafa Kemal Atatürk, der Vater des Türken, das konservative, stark religiöse und vom ersten Weltkrieg geschwächte Osmanische Reich reformierte und die Republik der Türkei gründete, der erste Tag in der strahlenden Geschichte (s)eines neuen Landes. Das ist es zumindest, was es sein sollte. Und er mag ein Mann mit vielen Kritikpunkten gewesen sein, es mag der deutschen Seele ein wenig befremdlich anmuten, ein Volk so vernarrt in einen einzelnen Menschen zu sehen - Fakt ist, ohne Atatürk gäbe es die Türkei, wie sie heute existiert, womöglich nicht. Die große Feuerwerkshow am Abend des neunundzwanzigsten Oktober, die in Gedenken an eben diesen Mann veranstaltet wird und jedes Jahr an der majestätischen Bosporus-Brücke ihren Ausgang findet, ist also gerechtfertigt, die Regierung kann ihre Beliebtheit steigern, indem sie ihrem Volk das gibt, was es will, und das ist die bedingungslose Verehrung seines Helden.


Das gespaltene Land

All dies könnte so einfach ablaufen. Die Türken wollen ihre Feierlichkeiten, also gebt ihnen doch ihre Feierlichkeiten. Opium des Volkes in der Form von Personenkult. Doch ganz im Gegenteil, im Vorfeld des Tags der Republik gab es sogar Diskussionen darüber, die Umzüge, Feuerwerksshows und anderweitige Zelebrierungen in diesem Jahr ausfallen zu lassen, weil Stimmen laut geworden waren, die vermuten ließen, dass man regierungskritische Märsche und Proteste zu befürchten hatte. 

In den letzten Jahren hat sich die Regierungspartei unter Recep Tayyip Erdogan immer weiter in eine Richtung entwickelt, die die von Atatürk eingeführte strikte Trennung von Kiche und Staat zunehmend aufhebt und der Religion erlaubt, sich in Teile des Lebens zu schleichen, in denen sie nach europäischen Standards eigentlich nichts zu suchen hat. Die Aufhebung des Kopftuchverbots an Universitäten aus dem Jahr 2008 ist eines von vielen Beispielen dafür. In Gesprächen mit den Einheimischen gehen die Meinungen diesbezüglich auseinander: hin und wieder hört man, die Regierung eröffne den Menschen lediglich "Möglichkeiten" in der Religionsausübung, meistens jedoch fluchen alle darüber, dass das Werk ihres großen Idols, ihres Heilsbringers, nach und nach rückgängig gemacht wird (zumindest soweit, wie das geht, ohne zugleich mit dem EU-Beitritts-Interesse der Regierung zu interferieren).

Festlichkeiten zum Tag der Republik

well, ...

Da ist schon wieder beinahe ein Monat vergangen, seitdem ich mich das letzte Mal gemeldet habe. Ich schwöre, die Zeit vergeht hier anders als in Deutschland. Schneller, unaufhaltsamer. 
Aber nun gut. Dann machen wir uns mal daran, die Berichterstattung hier ein wenig zu vervollständigen...

Donnerstag, 25. Oktober 2012

im kreis um marmara



Es gibt so ein paar Dinge, die man eher nur macht, um sagen zu können, man hätte sie gemacht. Nach Troja fahren zum Beispiel, dieser Stadt, die in der griechischen Mythologie und den Erzählungen Homers so bedeutsam ist und eigentlich nur noch aus überwucherten Steinresten besteht. Und die Gallipoli-Peninsula-irgendwas Schlachtfelder aus dem ersten Weltkrieg besuchen, um an Tausenden von Gräbern entlang spazieren zu können, Ruhestätten von zahllosen Soldaten, die in der Gallipoli-Schlacht 1915 gefallen sind, als die Entente-Mächte die Türkei aus dem ersten Weltkrieg befördern wollten und gescheitert sind. 
Solch kulturell interessante und aufschlussreiche Unternehmungen sind der Ausgangspunkt und sicherlich für sich genommen erlebenswert, aber was sie wirklich einzigartig macht, sind all diese kleinen Dinge, die so drumherum passieren, wenn man sich auf der Reise von einem Ziel zum nächsten befindet. 
Die zwei Stunden zum Beispiel, die Lydia und ich am Sonntag verschlafen haben und die uns zwangen, die Fähre um 11 anstatt um 9 zu nehmen. Die nette, gesprächige Touristin aus Lybien, die uns ansprach, als wir auf der Fähre nach Bursa saßen und die viel über Religion und Alltag in ihrem arabischen Herkunftsland erzählt hat, und über den arabischen Frühling. Der Iskender, dessen Preis wir sogar noch runterhandelten, ehe wir feststellten, dass wir uns zufällig in eines der Lokale verirrt hatten, die Bursa für dieses Gericht berühmt machten. Das geradezu epische Unwetter, das wir beobachten konnten, als wir im Bus nach Çanakkale saßen, die Blitze, der Donner, der Regen - und die Tatsache, dass es der Busfahrer trotz einer Sichtweite von ungefähr anderthalb Metern nicht als notwendig erachtet hat, weniger als Höchstgeschwindigkeit zu fahren. Die beiden Australier, die wir im Hostel kennen lernten und mit denen wir am nächsten Tag spontan gemeinsam nach Bursa fahren würden. Heiße Suppe neben dem Clock Tower in Çanakkale unter dem Vordach des Lokals. Regen. Eine kalte Dusche am Morgen, ein mickriges Frühstück. Kuschelnde Katzen. Riesige Käfer, tausende Ameisen (die mich an dich erinnert haben, Laura). Das trojanische Pferd. Mauerreste, türkische Landschaft. Fährenfahrten. Verhandlungen mit türkischen Taxifahrern, gefolgt von einer Hin- und Rückfahrt zu und von den Schlachtfeldern. Die Gruppe türkischer Kinder, die auf den Beginn ihrer Taekwondo-Stunde warteten und von denen wir plötzlich umkreist waren, als wir sie fragten, was sie machten. Die Taekwondo-Stunde, der wir daraufhin beiwohnen konnten und die vielen verstohlenen und bewundernden Blicke, die uns beiden Fremden andauernd zugeworfen wurden. Die ausschließlich türkische Konversation, die wir mit ihnen betrieben haben. Nächtliche Busfahrten nach Istanbul. Das Resümee nach Ankunft in Istanbul, zusammengefasst in Lydias Worten: "The most amazing spontaneous short trip ever!" 
Ich kann nur zustimmen. 






Sonntag, 21. Oktober 2012

tumblr

Mal so ganz nebenbei: ich habe mir in den letzten Tagen einen tumblr für meine fotografischen Erzeugnisse zugelegt. Dort finden sich unter Anderem ein paar sehenswerte (Bescheidenheit siegt, wie immer) Beobachtungen aus der Türkei.

Zu finden hier: 
KLICK HIER, NA MACH SCHON


Mittwoch, 17. Oktober 2012

zwei monate türkei. sie faziziert wieder.

Dieser Post wäre eigentlich am 6. Oktober fällig gewesen. Weiß ja keiner, darum gibt es den heute.
"But I really have to say...as much as I hate parties, this", Frederike macht eine ausladende Geste, die die gesamte Bosporus-Küste und die Brücke darüber mit einschließt, "is amazing." 
Ich lasse meinen Blick über die Küstenlinie wandern, über die vielen bunten Lichter, die die Umrisse der Gebäude schattenhaft nachzeichnen, das Wasser, das von den Beleuchtungen der Stadt angestrahlt wird und geisterhaft schimmert, das farbenfrohe Lichtspiel über der Bosporusbrücke, und nicke in stummer Zustimmung. Die inbrünstige Begeisterung, die in der Stimme der deutschen Erasmus-Studentin mitgeschwungen ist, wirkt infektiös, und mir wird einmal mehr bewusst, wie glücklich ich darüber bin, hier zu sein. Nicht nur hier, auf diesem vollgedrängten Boot voller partywütiger Erasmusstudenten, sondern hier, in Istanbul, hier, in der Türkei. 


Es ist nun heute schon zwei Monate her, dass ich in Berlin meinem Vater zum letzten Mal zuwinkte, ehe er hinter den Absperrungen am Flughafen Schönefeld verschwunden war. Seit ich in den Flieger stieg und zwischen Müdigkeit und Aufregung hin- und hergerissen gar nicht wusste, was ich denken sollte. 
Als ich vor acht Wochen hier ankam, sprach ich kein Wort Türkisch. Inzwischen hat sich das geändert. Die Sprache, die damals noch so fremdartig und abstrus anders erschien, hat einen ganzen Teil ihrer Fremde verloren und ist nun zwar immer noch weit davon entfernt, mir vertraut zu sein, aber ich bin, wie ich immer wieder betone, überlebensfähig. Dass das stimmt, habe ich in zahllosen Situationen bereits für mich selbst und Andere beweisen können. Doch der Weg, der noch vor mir liegt, ist weit - dieser Eintrag soll einen kleinen Einblick in all die Stolperfallen gewähren, die die türkische Sprache so bereithält.

Lektion 1: Bir bira lütfen!
Wenn dem aufmerksamen Beobachter von Erasmus-Studenten eines auffällt, dann, dass ein jeder Neuankömmling ohne Türkischvorkenntnisse innerhalb kürzster Zeit versteht, dass es einfach Dinge gibt, die man in der Landessprache beherrschen sollte. Und so können dann alle nach ein paar Tagen das beinah allabendliche Bier bestellen und sich artig für erbrachte Dienstleistungen bedanken. Das Zählen bis zwanzig ist innerhalb weniger Tage gemeistert. Bei so Manchem stockt es danach, Manche hingegen - so wie ich, wie ich bescheidenerweise sagen muss - beherrschen auch die grossen Zahlen bis in die Tausender innerhalb weniger Tage. Was dann jedoch folgt, ist der Härtetest auf der Strasse und ausserhalb des Klassenraums: Kommunikation mit den Einheimischen. Und da liegt der Haken. Denn die Ortsansässigen Türken haben, so zeıgt sich schnell, ihre Sprache nicht aus dem Lehrbuch erlernt. Und wer da schon als Ausländer nach dem Preis fragen muss, der wird dann auch hemmungslos mit originaltürkischer Aussprache konfrontiert. Dass da die Zahl zweihundert, iki yüz, nicht "iikii jühs", sondern viel eher wie "iküz" ausgesprochen wird, versteht man schnell, und dass "yirmi beş" auf der Strasse viel eher klingt wie "yürmbäsch", das sieht man dann auch relativ schnell ein. Allerdings darf sich ein jeder Leser an dieser Stelle die zahllosen Situationen ausmalen, in denen nicht nur ich, sondern auch viele meiner nichttürkischen Mitmenschen ein überdimensionales Fragezeichen auf dem Kopf hatten. 

Lektion 2: Adın ne?
Die erschreckend wenigen Mit-Erasmusler, die Sprachkurse belegen, werden genau wie ich zunächst mit der stets gleichen Konversation bestraft, die sie lernen müssen, bis sie nachts davon träumen, und die den Einstieg in die deutsche Sprache erleichtern soll. 
"Hallo, wie geht es dir?"
"Mir geht es gut, und dir?"
"Gut, danke. Wie ist dein Name?"
"Klaus. Und deiner?"
"Erika."
"Schön, dich kennen zu lernen."
"Ebenfalls." 
Und wieder: der eifrige Student, der dies schnell meistert, geht auf die türkischen Straßen und redet mit türkischen Menschen in türkischer Sprache - und dann benutzen die andere türkische Wörter als die, die man soeben in mühevoller Kleinarbeit in sein kleines Köpfchen geprügelt hat. Als Engin das erste Mal in Antalya vor mir stand und fragte: "Ismin ne?", habe ich ihn nur angeschaut, als käme er von einem anderen Planeten. Beim dritten Anlauf benutzte er dann ein mir vertrautes Wort (Adın ne?), da hat es schlussendlich Klick gemacht. Mir würden aber auf Anhieb noch fünf weitere Floskeln einfallen, von denen wir eine Version gelernt haben, obwohl andere Versionen mindestens genauso oft verwendet werden. Irritierend!

Lektion 3: Bir şeyler içmek istiyor musun? Oder auch: Brşlrçkormsun?
Da wir ja schon bei türkischer Aussprache waren, hier einmal die claudiophone Umschreibung des in der Überschrift erwähnten Satzes: 
[ BIER scheyLER ietschmek estieyohr muhSUNN? ]
Was die Türken daraus in ihrer alltäglichen Kommunikation machen, hat nicht viel damit gemeinsam. 
[ Brrschhlrrrtschkormsunn? ]
Ich denke, die Schwierigkeit hierbei wird deutlich. Manchmal denke ich, wenn man ordentlich und akzentfrei Türkisch sprechen möchte, muss man einfach lernen, bei hoher Geschwindigkeit effektiv zu nuscheln.

Lektion 4: Did you learn all that in just two months?
Nun ja, offensichtlich, ja. Könnten wir jetzt bitte wieder dazu übergehen, Türkisch zu sprechen, und den Teil mit den Komplimenten überspringen? Abgesehen davon habe ich nicht mehr gesagt als das, was ich schon nach zwei Wochen Sprachkurs konnte. Ernsthaft, das Wort intensiv impliziert, dass man große Fortschritte innerhalb kurzer Zeit macht. Ist das wirklich so schwer zu verstehen?

Lektion 5: Yabancı mısın?
Ehrlich mal, so eine Frage wäre in Deutschland unter allem Niveau. Hallo, sind Sie Ausländer? Aber man ist hier ja nicht in Deutschland und kennt das Nationalgefühl der Türken ja schon zur Genüge - mehr dazu am 29. Oktober, dem Feiertag der Republik -, darum gewöhnt man sich recht schnell daran, auf diese Frage (die man wirklich sehr häufig zu hören bekommt) nur zu antworten: Ja, ich bin Ausländer. Ist ja auch so. 

Lektion 6: Arkadaşlar, gelecek hafta benle sınıftan sonra üniversiteden yakında çay içmek istiyor musunuz?
Freunde, möchtet ihr nächste Woche nach der Stunde mit mir in der Nähe der Uni einen Chay trinken gehen? Tim musste diese Frage bestimmt dreimal wiederholen, ehe er sich in der Gruppe der Studenten, die nach dem zweimal wöchentlich stattfindenden Türkischkurs an der Yeditepe vor dem Klassenraum standen und sich unterhielten, Gehör verschafft hatten. Ja, möchten wir, kam von allen die einstimmige Antwort, gefolgt von ein paar weiteren Minuten Konversation auf Türkisch. Ich kann diesen unbändigen Stolz nicht so richtig beschreiben, dass ich inzwischen tatsächlich in der Lage bin, ganze - wenn auch simple - Konversationen auf Türkisch zu führen. 

Lektion 7: Sen Türkçe konuşuyor musun?
Du sprichst Türkisch? Jedes Mal, dass ich diese Frage in Begleitung mit einem milde überraschten Gesicht gestellt bekomme, antworte ich inzwischen nur noch lächelnd und mit einem Schwall Sarkasmus: Tabii ki, çok iyi konuşuyorum. Natürlich, sehr gut.