Dienstag, 28. August 2012

sokakta hayat var

auf der straße ist das leben 



 




  • Ich habe mich inzwischen mit der halben Straße angefreundet. Überall Menschen, die jedes Mal, wenn ich vorbeikomme, rufen: "Claudia! Wie gehts?" - wahlweise auf Türkisch, Englisch oder Deutsch. 
  • Donnerstag und Freitag saß ich jeweils bis um halb Drei bzw. viertel Vier vor dem Hostel und habe stundenlang mit einigen der Hostelmitarbeiter, die allesamt entweder so alt wie ich oder ein Jahr jünger sind, Vokabeln gelernt. Mein Türkisch ist inzwischen gar nicht mehr so schlecht, mir fehlen halt nur ganz viele Vokabeln und viel, viel Übung. 
  • In den letzten Tagen, ausgenommen gestern, habe ich den Laptop insgesamt vielleicht eine halbe Stunde angehabt. 
  • Samstagnacht war ich mit zwei Türken, die im Laden gegenüber vom Hotel arbeiten, und einer deutschen Touristin erst türkische Live-Musik anhören und dann in so einem ziemlich schicken Club, bei dem der Eintritt normalerweise zwanzig Lira (10 €) kostet und bei dem ich dank meiner Begleiter und deren Hotel-Kontakten nichts bezahlen musste, nicht einmal für die Drinks. 
  • Heute und gestern waren die Prüfungen für das Sprachen-Zertifikat. Sie bestanden aus vier Teilen: Lesen, Schreiben, Sprechen, Hören. Da das Niveau dieses Sprachkurses bei A1 liegt und ich in den letzten Wochen viel mit Muttersprachlern geübt habe, fand ich die sehr leicht. Heute habe ich schon einige der Ergebnisse einsehen können: Schreiben 85, Lesen 95 und Sprechen 100 Punkte (100 ist jeweils die Höchstzahl). Da man jeweils mindestens 60 braucht, um zu bestehen, bin ich somit entspannt aus dem Schneider.  
  • Am Samstag gab es wieder einen Ausflug, und zwar nach Aspendos und Alanya. Da ich Freitagabend ja, wie bereits geschrieben, bis morgens um 3:15 Uhr mit Kerim Vokabeln gelernt habe, war ich sehr müde, als ich dann um halb sieben aufstehen musste und habe dementsprechend die gesamte Busfahrt verschlafen. 
  • Sobald ich diesen Eintrag abgeschickt habe, werde ich meine Wäsche waschen gehen. Mit der Hand. Das letzte saubere Shirt hatte ich heute an. 
  • Heute Abend gehen wir baden. Wir treffen uns um zehn Uhr am Strand und schwimmen, und hinterher wird in einer der Strand-Discos getanzt. Dort ist die Musik gut und der Eintritt frei, also gibt es eigentlich nichts einzuwenden. Wir werden womöglich mit dem halben Sprachkurs hingehen und eine Art inoffizielle Abschiedsparty daraus machen, aber so ganz sicher bin ich mir noch nicht. Auf jeden Fall ist es wundervoll, nachts im Mittelmeer baden zu gehen.
  • Morgen ist eine Art Abschieds- und Zertifikats-Überreichungs-Zeremonie, bei der sogar der Rektor der Uni anwesend sein wird. Hört, hört.
  • Ich überlege, meinen Aufenthalt in Antalya um ein paar Nächte zu verlängern und dann erst am vierten September per Nachtbus nach Istanbul zu fahren, weil ich nämlich meine Hausarbeiten noch nicht fertig habe und das langsam mal tun sollte. Und hier bin ich womöglich entspannter als in einer neuen Stadt, die mir nicht im entferntesten vertraut ist.
  • Türken erkennt man daran, dass sie alle denselben Nokia-Klingelton verwenden. Ernsthaft, überall verfolgt mich dieses Gebimmel.
  • Annika hat vorgestern festgestellt, dass in unserer Wand quasi in der Vorhangaufhängung der Fenster Kakerlaken wohnen. Megaeklig, allerdings nicht weiter tragisch, weil die nie rausgekommen sind, man konnte sie halt nur hören. Wir haben gleich dem Hotelmanager bescheid gesagt und die haben sich heute darum gekümmert, und jetzt sitze ich in einem insektenfreien Zimmer, in dem man die versprühte Chemie noch ein kleines bisschen riechen kann.
  • Was gibt es sonst noch zu sagen? Ich vermisse Deutschland merkwürdigerweise überhaupt nicht, hätte aber gern alle meine Lieblingsmenschlein mit hier drüben. Die Zeit verfliegt wahnsinnig schnell und ich weiß gar nicht so richtig, wie es sein kann, dass ich in ein paar Tagen schon nach Istanbul fahren werde. 
 


Samstag, 18. August 2012

sıcak, çok sıcak

"Okay, guys! Everyone forward! Vorwärts! Faster, faster!"

Ich tauche meinen Paddel ins Wasser und spüre, wie meine Muskeln protestieren, als ich ihn nach hinten ziehe, um das Boot voranzubringen. Ich habe mich auf das Rafting gefreut, sehr sogar, aber ich habe irgendwie nicht bedacht, wie anstrengend es sein würde. Meine acht Begleiter wirken genauso konzentriert wie ich (und mindestens genauso lächerlich in diesen riesigen Schwimmwesten und den unförmigen Helmen, aber manchmal geht Sicherheit eben einfach vor), während wir versuchen, ein wenig Geschwindigkeit aufzunehmen - denn wir steuern wieder auf eine der Stellen zu, die das Rafting so erlebenswert machen, eine dieser Stellen, an der die Strömung mit einem Mal ihre Gleichmäßigkeit verliert und unberechenbar zu werden scheint. Ein paar von uns schreien, als wir die Stelle erreichen und das Boot einen abenteuerlichen Schlenker macht. Wasser spritzt und duscht uns alle, und wir halten uns an den Riemen am Rand des Bootes fest, um nicht hinausgeschleudert zu werden. Nicht, dass das vorher nicht schon passiert wäre - unser Guide selbst ist nicht ganz unschuldig, wenn es darum geht, uns ein Bad in dem 11°C kalten Wasser nehmen zu lassen - aber man weiß nie, wie tief das Wasser ist und ob man sich nicht doch verletzen könnte, wenn man ungünstig hineinfällt. 
Als wir die turbulente Phase überwunden haben und wieder auf ruhigeren Gewässern dahintreiben, sagt unser Guide, dessen Name ich schon zwei Sekunden, nachdem er ihn genannt hatte, vergessen habe: "Okay. Yesterday everyone fell off the boat at this point, and two people were under the boat for one minute." Die Worte sind von seinem Akzent geprägt, jedoch gut verständlich. Er grinst in die Runde, offensichtlich auf Reaktionen wartend. "When we had been a little bit faster..." Er verstummt, dann stellt er fest: "But there are only girls on this boat." Nun, acht Mädchen und Markus, aber das wird gekonnt verschwiegen. 
Schweigen fällt für einige Sekunden über das Boot, während wir auf dem Fluss dahintreiben. Die Luft hat auch hier nichts von ihrer Hitze eingebüßt, aber das kalte Wasser ist für mich eine willkommene Abwechslung zum warmen Wasser des Mittelmeers. Wir gleiten an unberührter türkischer Landschaft vorbei, an Felsen, Bäumen, Ziegen. (Letztere sehe ich nur als dunkle Flecken, weil ich meine Brille nicht aufhabe, sodass ich erst die anderen fragen muss, was genau sie dort betrachten. Irgendwie peinlich.)

Ein leichter Wind kommt auf und erfrischt die stehende Luft ein bisschen. Der Guide, ein junger Türke Mitte 20, der der Kondition seines Körpers zufolge viel Zeit mit Rudern verbringt, reibt sich die hinter mir die Arme. "Oh, cold." Ich blinzele ihn mit zusammengekniffenen Augen an. Ich kann ihn nicht vollkommen erkennen, weil ich meine Brille lieber mit meinen anderen Sachen im Bus gelassen habe. Empfindet er diese leichte Brise wirklich als kalt?
"I think it's hot. Sıcak."
Er schaut mich verdattert an. "Sıcak? Şimdi?" Heiß? Jetzt?
Ich zucke mit den Schultern. "Evet." Ja. 
"Well then, okay..." Und noch ehe ich darauf reagieren kann, hat er mich an den Schultern ergriffen und versucht, mich in Wasser zu schmeißen. Ich höre mich nur rufen: "Hayır, soğuk! Çok soğuk!" - nein, kalt. Sehr kalt. War ja aber auch blöd, so etwas zu sagen, wenn ich seine Tendenz dazu, Menschen baden zu schicken, kenne. Ich habe mich jedoch mit dem Fuß unter einem der Sitze verhakt, um nicht sofort von Bord zu gehen, wenn eine kleine Welle kommt, und das rettet mich jetzt: nach einigen Sekunden des Versuchens gibt er auf und schmeißt stattdessen Martina ins Wasser, während Nabila, Lena, Markus und Lisa (ich erwarte Anerkennung dafür, dass ich inzwischen die Namen beherrsche!) schon längst von selbst schwimmen gegangen sind. Siegreich verzichte ich dieses Mal darauf, ins Wasser zu gehen, ich werde ja noch genug Gelegenheit dazu haben auf dieser insgesamt vierzehn Kilometer langen Reise den Fluss hinab. 
Es gibt echtes, reines Quellwasser zu trinken, leidenschaftliche Wasserschlachten mit den anderen Kursteilnehmern auf den anderen Booten, bei denen der gute, alte Yusuf, einer der Lehrer, der mich immer an einen lieben Opi erinnert, der ärgste Feind und mutigste Kämpfer ist, und viele Witze und Scherze, die zwischen meinen Teamkollegen und dem Guide hin- und hergeschossen werden. 
Anschließend wird es eine Busfahrt zurück nach Antalya geben und eine Shoppingtour mit Kas, einer ziemlich witzigen Engländerin, die unbedingt einen Rucksack braucht. Und anschließend, abends um hab zwölf, ein "Werwolf"-Spiel mit den Anderen in der Nähe des Mittelmeers. Und dann wird auch der erlebnisreiche Freitag nachts um halb drei wieder beendet sein. Aber es gibt definitiv schlimmere Arten, ihn zu verbringen. 



 





 






Mittwoch, 15. August 2012

die erste woche - ein zwischenfazit

Und so schnell ist eine Woche vorbei. Bleiben zwei einhalb. Was also habe ich in der Zeit hier getrieben? - Eine kurze Auflistung, heute weniger prosaisch, dafür aber mit stichhaltigeren Informationen für alle, die das irgendwie interessant finden. 


Tagesablauf

07:15 Der Wecker klingelt. 
07:45 Frühstück im Garten des Hotels, das zum Hostel gehört. Reichhaltig und abwechslungsreich und für Hostelgäste absolut kostenfrei. (Die Melonen sind zum Niederknien. Außerdem gibt es Feta-Käse in Massen, in den ich mich jedes Mal reinlegen könnte.) 
08:15 Aufbruch zum Bus, zu dem wir zu Fuß fünfzehn Minuten brauchen. Annika wird dabei fast jedes Mal von ein- und demselben Hund verfolgt, der sich auf den ersten Blick in sie verliebt hat. Er versucht immer, mit den Bändern ihres Rucksacks zu spielen, indem er danach schnappt - da sie allerdings tierische (haha, flacher Wortwitz) Angst vor Hunden hat, haben wir heute eine andere Route aus der Altstadt heraus ausprobiert und hätten uns fast verlaufen. Fast.
08:30 Jeden Tag mehr oder minder zufälliges Aufeinandertreffen mit den anderen Kursteilnehmern an der Bushaltestelle. Die Fahrt zur Uni dauert zwanzig Minuten, gezahlt wird beim Fahrer - eine Fahrt kostet 1,75 Lira, das entspricht ungefähr 90 Cent. 
09:00 + mindestens 10 Minuten Der Unterricht beginnt. Wie bereits erwähnt, wechseln die Lehrer jeden Tag, ich glaube, ich hatte bisher nur den guten Yusuf zwei Mal. Die Türken nehmen das mit der Pünktlichkeit nicht so genau (wer mich kennt, kann sich denken, dass ich mich hier sehr wohl fühle), darum ist es okay, wenn man mal fünf Minuten später kommt, denn der Lehrer übertrifft einen immer um mindestens fünf weitere. Ich wette, ich bin nicht fähig, meine Aufmerksamkeit länger als fünfzig Minuten auf etwas zu fokussieren, wenn ich wieder in Deutschland bin, denn irgendwie machen wir hier immerzu Pausen. Der Unterricht beginnt mit fünfzehn Minuten Verspätung, macht nichts, dreißig Minuten später gibt es erst einmal eine Pause. Von 9 bis 12 sind es nur 3 Stunden? Macht nichts, machen wir trotzdem zwei Pausen zwischendurch. Die Lehrer sprechen teilweise besser Deutsch als Englisch, sodass meine deutschen Kumpanen und ich immer als Dolmetscher für alle anderen Europäer fungieren, was irgendwie witzig ist. Heute kam meine Lehrerin zu mir und bat mich, für Amy (Britin) zu übersetzen, was sie ihr mitteilen wollte.
12:00 Mittagspause. Essen gibt's in der Cafeteria für Studenten für 4,25 Lira oder in der für Lehrer für 6 Lira. Wir essen inzwischen meist in der für Lehrer, einfach, weil das Essen dort besser und vielfältiger ist. Für die umgerechneten drei Euro bekommt man dort ernsthaft ein Viergänge-Menü! Eigentlich dürften, wie der Name sagt, nur die Lehrer dort essen, aber für den Notfall haben wir immer noch unsere besondere Begründung "We're Erasmus students" und dann werden wir in Ruhe gelassen. Ich kann inzwischen sogar schon auf Türkisch bestellen ("Hallo! Ein Menü, bitte." - "Danke!"), was mich jedes Mal sehr stolz macht. Ich meine, hey, eine Woche! Um 
13:00 geht es dann weiter mit dem Unterricht. Gestern ist die Klimaanlage im Fakultäts-Gebäude ausgefallen, da hatten wir nachmittags frei und fuhren stattdessen in das Antalya Museum. Ich mag Museen, manchmal. Aber ernsthaft, Steine kann ich mir auch am Konyaaltı-Strand anschauen, die gibt es da nämlich zuhauf. 
15:30 Feierabend! Je nach Laune und Menge der Hausaufgaben geht es hinterher an den Strand, ins Hostel und dann in den Pool, auf die Terasse oder anderweitigen Beschäftigungen nach. Und danach direkt unter die Dusche. 
Der Rest des Tages verlief bisher jedes Mal anders. Montag waren wir abends auf eine Party eingeladen, letzte Woche gingen wir mehrmals mit ein paar Mädels zum Yachthafen, um ein Glas Pfirsichsaft oder einen Cocktail zu trinken, und hin und wieder gehe ich auch meinen sozialen Kontakten in Europa nach und kommuniziere mit euch Menschen da drüben. Für heute Abend wurde ich auch dazu eingeladen, mit ein paar Leuten etwas zu trinken, wir werden sehen, was ich schlussendlich mache... 

Die Sprache 

Türken sind ein unglaublich kommunikatives und hilfsbereites Völkchen, und jedes Mal, das Annika und ich irgendwo ahnungslos in der Gegend herumstehen, taucht wie aus dem Nichts jemand auf, der uns weiterhelfen kann. In Deutschland würde einem das niemals passieren. Montag beispielsweise standen wir abends an der Haltestelle und unterhielten uns auf Deutsch - und mit einem Mal stand ein türkisches Pärchen neben uns und fragte uns auf Deutsch, ob wir Deutsche seien. Die beiden lernen die Sprache, um in Deutschland zu studieren, und so haben wir uns zum Teil Deutsch, zum Teil Englisch und Türkisch unterhalten, bis der Bus kam. In Deutschland? Unvorstellbar. Ich versuche immer, mit den Menschen Türkisch zu sprechen, bedanke mich auf Türkisch, begrüße auf Türkisch, verabschiede mich auf Türkisch. In unserer Straße gibt es schon Einige, die Annika und mich kennen und wissen, dass wir ihre Sprache lernen, darum versuchen sie immer, ein bisschen mit leichten Sätzen aus uns herauszukitzeln, was wir bereits können und uns gegebenenfalls zu berichtigen. Das ist der große Vorteil daran, eine Sprache in ihrem Heimatland zu erlernen: lernt man eine Sprache in der Schule, so hat man eine Stunde Unterricht und geht dann nach Hause - und spricht Deutsch. So jedoch lernen wir im Unterricht Türkisch, gehen dann nach Hause - und überall, wo wir hingehen, sehen und hören wir Türkisch. Ich finde das ganz wundervoll. 

Türkisch ist absolut keine schwere Sprache, man muss nur verstehen, wie sie funktioniert. Es gibt so gut wie keine Ausnahmen, alles ist absolut logisch - warum gibt es nicht mehr solcher Sprachen auf der Welt? Was mir allerdings Schwierigkeiten bereitet, ist das Behalten der Vokabeln und die Aussprache. Und natürlich das Hörverstehen auf der Straße. Aber da komme ich auch schon noch hinter. 

Sonntag, 12. August 2012

attention, please

Kratzer, Brandblasen, blaue Flecken


Ich war ja schon immer der Ansicht, dass ich einfach nicht so viel Aufmerksamkeit bekomme, wie einer Persönlichkeit wie mir zusteht. Ich weiß, das ist ziemlich tragisch, zumal die lieben Leser dieses Blogs zu den Wenigen gehören, die Platons Philosophie folgend das Licht gesucht und erkannt haben, dass man mich einfach beachten muss. Leider sehen das allerdings nicht alle Teilnehmer in diesem Sprachkurs so, und darum hatte ich mir für  den gestrigen Ausflug etwas ganz Wunderbares ausgedacht, um etwas an diesem Umstand zu ändern. 
Wir befanden uns gerade auf dem Mittelmeer, als ich meine Aktion zu starten entschied. 

Phase 1: Das pitschnasse Wölkchen

Nein, wir hatten keine jesushaften Anwandlungen und konnten mit einem Mal über das Wasser laufen - wir befanden uns auf einem Schiff. Einem dieser Rundfahrtenschiffe für die "Bild-Zeitungs-Touristen", wie Annika sie liebevoll nennt, also einem dieser Schiffe, die aus zwei Stockwerken bestehen und bei denen im Untergeschoss Sitzplätze, auf dem Oberdeck Liegeplätze zum Sonnen sind (man merkt, die Bezeichnung "Bild-Zeitungs-Touristen-Schiff" hebt den hohen Anspruch hervor, auf dem auf diesen Schiffen Konversation betrieben wird. Niemand würde auf die Idee kommen, halbnackt im Bikini Fotos davon zu machen, wie man peinliche und unkreative Posen vor Schiffsbestandteilen vollführt, deren Name und Verwendungszweck einem vollkommen fremd sind. Die meisten Anwesenden auf diesen Schiffen würden ganz im Gegenteil über ein solches Verhalten nur die Nase rümpfen). Der Kapitän war irgendwo vor der wunderschönen Felsenküste der Türkei vor Anker gegangen und die Studenten (diese Bezeichnung soll den elitären Eindruck noch verstärken) zogen ihre Badesachen an, um schwimmen zu gehen. Alle Studenten? Nein. Zwei arme, ahnungslose Deutsche hatten die Ankündigung, dass man baden gehen können würde, nicht gehört und waren demnach ohne Schwimmkleidung auf diesen Ausflug gegangen. Aber als junger, flexibler Mensch in der Mittagshitze der türkischen Mittelmeerküste weiß man sich ja zu helfen - und geht einfach ohne Badesachen, dafür aber in voller Montur ins Wasser. Trocknet ja eh wieder, war hierbei das Motto. 


Phase 2: Das zerstörerische Wölkchen 


Nachdem ich ein bisschen im Wasser umhergeplanscht hatte (und dabei schon das erste Bisschen Aufmerksamkeit der Art "Bist du etwa mit deinen Sachen ins Wasser?" erhalten hatte), wollte ich auch, wie alle Anderen, vom Oberdeck ins Wasser springen. Das ist an sich nicht weiter schwierig, für normale Menschen. Wie bei einem Dreimeterbrett, nur mit der erhöhten Schwierigkeit, dass das untere Deck über das obere hinausragt und man somit weiter als einen halben Meter springen sollte, um nicht auf das Boot aufzuprallen. 
Ich stand nun also da oben und wollte springen - Alex oder Markus oder wie auch immer er heißt (ich kann mir die Namen der Menschen beim besten Willen nicht merken, auch wenn ich es bisher nicht weiter versucht habe) hatte mir sogar den Vortritt gelassen - und hatte schon Schwung geholt, als plötzlich direkt unter mir jemand auf dem unteren Deck an der Reling stand.  Vor meinen Füßen. Was macht also der intelligente, erschrockene Mensch? Exakt. Er entscheidet, dass das Springen in einem solchen Moment doch keine so gute Idee ist und versucht, sich abzufangen. 
Blöd nur, wenn man beim Greifen das Geländer verfehlt. Und blöd, wenn man stattdessen nur die Antenne des Boots (oder irgend so ein ähnliches Gebilde) zu fassen bekommt. Die natürlich nicht darauf ausgelegt ist, einen Menschen zu halten, der durch den Schwung bereits mehr Kraft darauf ausübt als im normalen Zustand. Und blöd, wenn besagte Antenne (oder irgend so ein ähnliches Gebilde) nachgibt und mit einem gemeinsam feststellt, dass die Schwerkraft am Ende doch nicht auszutricksen ist. 
Ja, ich bin vom Boot gefallen. 

Phase 3: Das beachtete Wölkchen

Es ging alles sehr schnell, und ich erinnere mich nur, wie ich dann mit einem Mal im Wasser war und nur dachte: Mist. Kaum tauchte ich auf, hörte ich vom Boot schon die ganzen Rufe a lá "Are you alright?" und "Did anything happen to you?" und hörte mich selbst nur bestätigend nach oben rufen. 
Stylisch hat es ausgesehen, versicherte Markus mir später. 
War so geplant, entgegnete ich ihm. 
"What happened to that girl falling off the boat?", wollte einer der Österreicher von Amy wissen.
"Oh my god, are you fine?", fragte Martyna. 
Gesichter, die mir noch immer nur vage vertraut sind, stellten besorgte Fragen. 
"Totally, I am totally fine", wiederholte ich immer und immer wieder.

Mission Aufmerksamkeit erfolgreich durchgeführt. 








Mittwoch, 8. August 2012

wie mich mein lehrer zum tee einlud

Ein Klick auf die Fotos und sie werden groß! 

Das Plätschern des Springbrunnens ist eine stetige, gleichmäßige Untermalung sämtlicher anderer Geräusche. Nicht, dass es ansonsten sonderlich viele Geräusche gäbe – es ist ziemlich still in diesem Teegarten, diesem Ort des Rückzugs. Ich lasse meinen Blick über die vielen Sitzbänke schweifen, die gepflegten Beete, die riesigen Pinienbäume. Hin und wieder kommt ein leichter Windzug um die Ecke, der die warme Luft ein bisschen abkühlt. Hinter der Felsformation, in die der Springbrunnen eingebaut ist, befindet sich ein Aussichtspunkt, von dem aus man ganz Antalya überblicken kann. Bei dem immer klaren Himmel ist der Anblick einfach atemberaubend, wir befinden uns weit über und ein kleines Stück außerhalb der Stadt. Dieser Ort ist abgelegen, ruhig, friedvoll und, was am besten ist – frei von jeglichen Touristen.
„Claudia“, sagt Ümit mit seiner typischen türkischen Intonation und reißt mich so aus meinen Gedanken, „Claudia Schiffer.“
Ich lache unbeholfen, weil ich nicht weiß, wie ich darauf reagieren soll. Es ist ja schön, dass er das Model kennt und mit Deutschland und meinem Namen assoziiert, aber was genau hat das mit mir zu tun? Also schlürfe ich meinen türkischen Tee – Çay – und sage einfach gar nichts. Das Gespräch wechselt gemeinsam mit meiner Zimmergenossin und ständigen Begleiterin Annika zwischen verschiedenen Themen hin und her, wir reden über Politik und den Ausflug am Samstag, über diesen Ort, über türkische und deutsche Kultur, über die türkische Sprache. Letzteres ist überhaupt erst der Grund, warum ich hier bin. Denn Ümit ist nicht irgendeiner der vielen Türken, die ich in den letzten anderthalb Tagen kennen gelernt habe. Er ist mein Lehrer.
Und für jeden Deutschen, der sich darüber wundert, dass ich mit Annika und meinem Türkischlehrer am zweiten Tag nach dem Unterricht bis vor die Grenzen der Stadt gefahren bin, um mit den beiden traditionellen türkischen Tee zu trinken: ich bin mindestens genauso erstaunt. Eigentlich wollte ich nämlich nur eine Kopie eines Formulars, das ich ausfüllen muss, um meine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten. Dafür mussten Annika und ich mit in Ümits (dass die Lehrer und/oder Dozenten beim Vornamen genannt werden, ist in der Türkei soweit ich weiß üblich) Büro kommen, wo wir den Regeln des Smalltalks gerecht wurden und ein bisschen mit ihm plauderten – und mit einem Mal lud er uns auf eine Tasse türkischen Tee ein. Dass aus einer Tasse schlussendlich zwei wurden und da noch eine Shisha und ein mehrstündiges Gespräch über  die verschiedensten Themen hinzukommen, ist eine andere Geschichte. Wir willigten ein, beide ein wenig überrumpelt und misstrauisch, aber da wir zu zweit waren, nicht wirklich ängstlich. Und hier sitze ich nun unter dem Sonnenschirm und nehme ein paar Züge der Shisha, genieße die Ruhe und fühle mich wohl.
Ümit zeigt uns grammatische Details, die wir in der heutigen Sitzung noch nicht hatten. Er erklärt uns, wie man gewisse Formen anwendet und übt immer wieder die Verlaufsform des Verbs, die wir heute gelernt haben. Es macht Spaß.
Also, wie ist mein Fazit nach den ersten zwei Tagen Türkischkurs?
Anstrengend, fällt mir zuerst ein.
Lehrreich, füge ich mental sogleich hinzu.
Die Lehrer wechseln jeden Tag, um gegenseitig ihre Schwächen auszubügeln, und Ümit ist so etwas wie der „big boss“, der (Mit-)Organisator des EILC-Sprachkurses und der Lehrer, der zwischen allen Klassen hin und her springt. Die ersten sieben Stunden, zumindest schätze ich es so lang ein, waren angefüllt von Übungen, in denen wir uns einander vorzustellen lernten und die ersten tiefsinnigen Konversationen führen durften.
Schema F:
„Hallo.“
„Hallo.“
„Wie heißt du?“
„Ich heiße Claudia. Und wie heißt du?“
„Ich heiße (xyz).“
„Schön, dich kennen zu lernen.“
„Ebenfalls schön, dich kennen zu lernen. Wie geht es dir?“
„Danke sehr, mir geht es gut. Und wie geht es dir?“
„Danke sehr, mir geht es auch gut.“
„Woher kommst du?“
„Aus (xyz). Und woher kommst du?“
…Ich denke, ihr versteht, was ich meine.
Die anderen Türkischlerner kommen aus ganz Europa, allerdings ist Deutschland mit Abstand am Stärksten vertreten, ein gefühltes Drittel der Teilnehmer kommt aus meinem Heimatland. Außerdem gibt es Briten, Polen, Österreicher, Italiener, Rumäninnen, Spanier, ... Der Haufen ist wirklich gut durchgemischt, wenn man mal von der Überbevölkerung durch Bratwurstesser absieht.
Die Organisation an der türkischen Uni ist allerdings ein bisschen unausgereift, um nett zu sein. Es gibt einen Stundenplan, aber niemand hält sich daran. Es gibt einen Zeitpunkt für Treffen, aber im Grunde kann man da gern zehn Minuten hinzurechnen. Es gibt die Aussage des einen Organisators – und dann kommt ein anderer daher und wirft alles über den Haufen.
Aber all dies sind keine Dinge, die mich dazu bringen könnten, mich unwohl zu fühlen. Die Menschen sind nett, das Essen lecker, das Wetter wundervoll und das Land schön. Und die Sprache sowieso. Gestern Nachmittag habe ich das erste Mal im Mittelmeer gebadet. Lektion des Tages: Mund zu, im Mittelmeer ist das Wasser salzig. Aber das ist eine andere Geschichte. 

Montag, 6. August 2012

initiative


Die Luft, die mir entgegenschlägt, als ich aus dem Flieger steige, lässt mich beinahe wieder einen Schritt rückwärts machen und in das Flugzeug zurückgehen, so drückend warm ist sie. Das Geländer der Treppe verbrennt mir die Finger, es ist schwarz und hat sich innerhalb kürzester Zeit zu unerträglichen Temperaturen aufgeheizt. Der Boden unter dem Flugzeug ist irgendein betonartiges verblichenes Material, das Gras, das am Rande der Landebahn wächst, vertrocknet. Die Hitze ist so überwältigend, dass ich sofort eine unangenehme Trägheit verspüre, zusätzlich zu der sowieso schon entnervenden Müdigkeit. Kein Wunder, es ist ja auch Mittagszeit in Antalya. Antalya. Ich bin da. Ich bin in der Türkei.
Wie in Trance steige ich die Treppe hinab und laufe mit den anderen Reisenden geradewegs auf den Bus zu, der mich zum Flughafengebäude bringt. Dort stelle ich mich an, um meinen Stempel in den Reisepass zu bekommen, dann hole ich meine Koffer, tausche Geld, verlasse das Gebäude. Stehe ratlos in der Gegend rum, weil ich nicht weiß, was ich jetzt tun soll, wie ich am besten in die Stadt komme. Die Reiseagenturen finden ihre Kunden für den Abtransport ins Hotel, ich stehe nur da und laufe unschlüssig von einer Seite der Gebäudefront zur anderen. Ein Mitarbeiter einer der Reiseagenturen spricht mich schließlich an.
„Neckermann?“
Ich schüttele den Kopf. „No.“
„You can’t find your agency?“
„I don’t have an agency.“
Ein verwirrter Blick. „Are you waiting for someone private?“
Wieder Kopfschütteln.
“Where do you want to go?”
“To the city center of Antalya.”
Er versteht und zeigt mir, wo der Bus abfährt, der mich in die Stadt bringt.
Zehn Minuten später sitze ich in einem überfüllten „Otobus“ der Linie 600 und bin auf dem Weg nach – ja, das weiß ich auch nicht so genau. Ich habe 3,50 türkische Lira für die Busfahrt gezahlt, was in etwa 1,75€ entspricht, weiß aber gar nicht, wo ich aussteigen muss, um zu meinem Hostel zu kommen. Es gibt keine Anzeigetafel für Haltestellen, und selbst wenn es sie gäbe, würde mir das nichts bringen. Ich zwinge mich jedoch zur Ruhe und studiere abwechselnd meine Karten und das Bild der Stadt, das sich vor den Fenstern des Gefährts entfaltet. Antalya ist eine dieser Großstädte, die nicht den Anschein erwecken, groß zu sein, wenn man dort ist, auch wenn sie über eine Million Einwohner beherbergt. Es gibt Gegenden mit nicht sonderlich schönen Plattenbau-Wohnhäusern, die sich zehn bis fünfzehn Stockwerke in die Höhe schrauben, aber im Großen und Ganzen hat man nie dieses beklemmende Gefühl, von vielen Menschen umgeben zu sein. Aus dem ruhigen Vorstadtflair kommen wir allmählich in belebtere Gegenden, in denen sich Läden einander reihen. Marken, die man aus Deutschland kennt, mischen sich mit unbekannten Geschäften. Ich bin offensichtlich im Zentrum angekommen – kann mich jedoch nicht dazu durchringen, aufzustehen und auszusteigen, weil ich einerseits keinen der Straßennamen auf meiner Karte finden kann, andererseits, weil meine Koffer erfolgreich unter denen der anderen Mitbusfahrer begraben sind. Irgendwann entdecke ich jedoch in der Ferne den Schriftzug der „Akdeniz Üniversitesi“ – und weiß, dass ich zu weit gefahren bin, denn die Universität liegt auf der anderen Seite der Bucht, um die sich die Stadt schmiegt.
Ich kämpfe mich also aus dem Bus heraus – unter Mithilfe eines freundlichen  Mitfahrers, der mir den Koffer auf die Straße stellt – und stehe jetzt mitten in der Pampa. Der Kampf mit den Koffern hat zwei Haltestellen lang gedauert, die Universität ist also in weiter Ferne. Ich stehe mitten in Antalya’scher Pampa und kann nicht einmal mehr die Bushaltestelle entdecken, an der ich ausgestiegen bin. Ich sehe mich um. Eine der vielen Fußgängerüberführungen, wie es sie bei Lenas Haltestelle in Jena gibt, spannt sich über die Straße. Ansonsten nichts, bis auf Autos. Ich entdecke ein Taxi und steuere kurz entschlossen darauf zu, und der Rest ist eigentlich Geschichte. 
Der Fahrer bringt mich für umgerechnet nicht einmal acht Euro noch einmal quer durch die Stadt, und ich checke in mein kleines, aber feines Doppelzimmer ein. Meine Zimmergenossin ist noch nicht da, natürlich nicht, sie ist im Sprachkurs, der heute eigentlich begonnen hat und den ich verspätet beginnen werde. Ich lege mich schlafen, denn die Müdigkeit hat mich schon im Bus vom Flughafen mehrmals fast wegnicken lassen. Meine Mitbewohnerin kommt, als ich wieder erwache. Wir reden ein bisschen, laufen dann ein, zwei Stündchen gemeinsam durch die Altstadt, in der das Hostel liegt. Wenn man von meinem momentanen Sitzplatz aus fünf Minuten lang geht, dann steht man direkt über dem Mittelmeer. Strände gibt es in Antalyas Zentrum wegen der felsigen Küste keine, aber das macht nichts, denn dieser Ausblick…
Und während ich hier vor dem Laptop sitze und mir überlege, wie ich diesen Eintrag am besten beenden könnte, da wird mir erst so richtig bewusst: meine Güte, ein halbes Jahr. Sechs Monate.
Was für eine wundervolle Entscheidung.