Montag, 26. November 2012

neunundzwanzigster oktober

Der neunundzwanzigste Oktober ist ein Feiertag in der Türkei, ganz ähnlich dem dritten Oktober in Deutschland oder dem oder dem vierten Juli in den USA. Und doch gibt es da ein paar Unterschiede in der Art, wie Regierung und Volk diesen ihren Tag wahrnehmen und nutzen.

Ein Land feiert sich selbst - und seinen Helden

Fährt man am sogenannten Tag der Republik durch Istanbul, dann fällt auf, dass das normalerweise bereits sehr lebendige Stadtbild an diesem Tag noch farbenfroher erscheint. Wo sonst hin und wieder die eine oder andere türkische Flagge zu sehen ist, lassen sich plötzlich ganze Häuserfronten finden, die in rote Teppiche mit Stern und Halbmond darauf eingekleidet sind. Überall hängen Wimpel, Fähnchen, Flaggen und Lichterketten - und jede einzelne Fußgängerüberführung über den Highways trägt deutlich lesbare Spruchbanner mit den Worten "Herzlichen Glückwunsch zum 89. Jahrestag unserer Republik!". Ein Land, in innigster Liebe zu sich selbst. Eine Regierung, vollkommen hinter den Bürgern stehend. Ein Tag, voller Schein und Sein und reinster Glückseligkeit. Nicht wahr?
Es ist nun schon 89 Jahre her, dass Mustafa Kemal Atatürk, der Vater des Türken, das konservative, stark religiöse und vom ersten Weltkrieg geschwächte Osmanische Reich reformierte und die Republik der Türkei gründete, der erste Tag in der strahlenden Geschichte (s)eines neuen Landes. Das ist es zumindest, was es sein sollte. Und er mag ein Mann mit vielen Kritikpunkten gewesen sein, es mag der deutschen Seele ein wenig befremdlich anmuten, ein Volk so vernarrt in einen einzelnen Menschen zu sehen - Fakt ist, ohne Atatürk gäbe es die Türkei, wie sie heute existiert, womöglich nicht. Die große Feuerwerkshow am Abend des neunundzwanzigsten Oktober, die in Gedenken an eben diesen Mann veranstaltet wird und jedes Jahr an der majestätischen Bosporus-Brücke ihren Ausgang findet, ist also gerechtfertigt, die Regierung kann ihre Beliebtheit steigern, indem sie ihrem Volk das gibt, was es will, und das ist die bedingungslose Verehrung seines Helden.


Das gespaltene Land

All dies könnte so einfach ablaufen. Die Türken wollen ihre Feierlichkeiten, also gebt ihnen doch ihre Feierlichkeiten. Opium des Volkes in der Form von Personenkult. Doch ganz im Gegenteil, im Vorfeld des Tags der Republik gab es sogar Diskussionen darüber, die Umzüge, Feuerwerksshows und anderweitige Zelebrierungen in diesem Jahr ausfallen zu lassen, weil Stimmen laut geworden waren, die vermuten ließen, dass man regierungskritische Märsche und Proteste zu befürchten hatte. 

In den letzten Jahren hat sich die Regierungspartei unter Recep Tayyip Erdogan immer weiter in eine Richtung entwickelt, die die von Atatürk eingeführte strikte Trennung von Kiche und Staat zunehmend aufhebt und der Religion erlaubt, sich in Teile des Lebens zu schleichen, in denen sie nach europäischen Standards eigentlich nichts zu suchen hat. Die Aufhebung des Kopftuchverbots an Universitäten aus dem Jahr 2008 ist eines von vielen Beispielen dafür. In Gesprächen mit den Einheimischen gehen die Meinungen diesbezüglich auseinander: hin und wieder hört man, die Regierung eröffne den Menschen lediglich "Möglichkeiten" in der Religionsausübung, meistens jedoch fluchen alle darüber, dass das Werk ihres großen Idols, ihres Heilsbringers, nach und nach rückgängig gemacht wird (zumindest soweit, wie das geht, ohne zugleich mit dem EU-Beitritts-Interesse der Regierung zu interferieren).

Festlichkeiten zum Tag der Republik

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