Mittwoch, 17. Oktober 2012

zwei monate türkei. sie faziziert wieder.

Dieser Post wäre eigentlich am 6. Oktober fällig gewesen. Weiß ja keiner, darum gibt es den heute.
"But I really have to say...as much as I hate parties, this", Frederike macht eine ausladende Geste, die die gesamte Bosporus-Küste und die Brücke darüber mit einschließt, "is amazing." 
Ich lasse meinen Blick über die Küstenlinie wandern, über die vielen bunten Lichter, die die Umrisse der Gebäude schattenhaft nachzeichnen, das Wasser, das von den Beleuchtungen der Stadt angestrahlt wird und geisterhaft schimmert, das farbenfrohe Lichtspiel über der Bosporusbrücke, und nicke in stummer Zustimmung. Die inbrünstige Begeisterung, die in der Stimme der deutschen Erasmus-Studentin mitgeschwungen ist, wirkt infektiös, und mir wird einmal mehr bewusst, wie glücklich ich darüber bin, hier zu sein. Nicht nur hier, auf diesem vollgedrängten Boot voller partywütiger Erasmusstudenten, sondern hier, in Istanbul, hier, in der Türkei. 


Es ist nun heute schon zwei Monate her, dass ich in Berlin meinem Vater zum letzten Mal zuwinkte, ehe er hinter den Absperrungen am Flughafen Schönefeld verschwunden war. Seit ich in den Flieger stieg und zwischen Müdigkeit und Aufregung hin- und hergerissen gar nicht wusste, was ich denken sollte. 
Als ich vor acht Wochen hier ankam, sprach ich kein Wort Türkisch. Inzwischen hat sich das geändert. Die Sprache, die damals noch so fremdartig und abstrus anders erschien, hat einen ganzen Teil ihrer Fremde verloren und ist nun zwar immer noch weit davon entfernt, mir vertraut zu sein, aber ich bin, wie ich immer wieder betone, überlebensfähig. Dass das stimmt, habe ich in zahllosen Situationen bereits für mich selbst und Andere beweisen können. Doch der Weg, der noch vor mir liegt, ist weit - dieser Eintrag soll einen kleinen Einblick in all die Stolperfallen gewähren, die die türkische Sprache so bereithält.

Lektion 1: Bir bira lütfen!
Wenn dem aufmerksamen Beobachter von Erasmus-Studenten eines auffällt, dann, dass ein jeder Neuankömmling ohne Türkischvorkenntnisse innerhalb kürzster Zeit versteht, dass es einfach Dinge gibt, die man in der Landessprache beherrschen sollte. Und so können dann alle nach ein paar Tagen das beinah allabendliche Bier bestellen und sich artig für erbrachte Dienstleistungen bedanken. Das Zählen bis zwanzig ist innerhalb weniger Tage gemeistert. Bei so Manchem stockt es danach, Manche hingegen - so wie ich, wie ich bescheidenerweise sagen muss - beherrschen auch die grossen Zahlen bis in die Tausender innerhalb weniger Tage. Was dann jedoch folgt, ist der Härtetest auf der Strasse und ausserhalb des Klassenraums: Kommunikation mit den Einheimischen. Und da liegt der Haken. Denn die Ortsansässigen Türken haben, so zeıgt sich schnell, ihre Sprache nicht aus dem Lehrbuch erlernt. Und wer da schon als Ausländer nach dem Preis fragen muss, der wird dann auch hemmungslos mit originaltürkischer Aussprache konfrontiert. Dass da die Zahl zweihundert, iki yüz, nicht "iikii jühs", sondern viel eher wie "iküz" ausgesprochen wird, versteht man schnell, und dass "yirmi beş" auf der Strasse viel eher klingt wie "yürmbäsch", das sieht man dann auch relativ schnell ein. Allerdings darf sich ein jeder Leser an dieser Stelle die zahllosen Situationen ausmalen, in denen nicht nur ich, sondern auch viele meiner nichttürkischen Mitmenschen ein überdimensionales Fragezeichen auf dem Kopf hatten. 

Lektion 2: Adın ne?
Die erschreckend wenigen Mit-Erasmusler, die Sprachkurse belegen, werden genau wie ich zunächst mit der stets gleichen Konversation bestraft, die sie lernen müssen, bis sie nachts davon träumen, und die den Einstieg in die deutsche Sprache erleichtern soll. 
"Hallo, wie geht es dir?"
"Mir geht es gut, und dir?"
"Gut, danke. Wie ist dein Name?"
"Klaus. Und deiner?"
"Erika."
"Schön, dich kennen zu lernen."
"Ebenfalls." 
Und wieder: der eifrige Student, der dies schnell meistert, geht auf die türkischen Straßen und redet mit türkischen Menschen in türkischer Sprache - und dann benutzen die andere türkische Wörter als die, die man soeben in mühevoller Kleinarbeit in sein kleines Köpfchen geprügelt hat. Als Engin das erste Mal in Antalya vor mir stand und fragte: "Ismin ne?", habe ich ihn nur angeschaut, als käme er von einem anderen Planeten. Beim dritten Anlauf benutzte er dann ein mir vertrautes Wort (Adın ne?), da hat es schlussendlich Klick gemacht. Mir würden aber auf Anhieb noch fünf weitere Floskeln einfallen, von denen wir eine Version gelernt haben, obwohl andere Versionen mindestens genauso oft verwendet werden. Irritierend!

Lektion 3: Bir şeyler içmek istiyor musun? Oder auch: Brşlrçkormsun?
Da wir ja schon bei türkischer Aussprache waren, hier einmal die claudiophone Umschreibung des in der Überschrift erwähnten Satzes: 
[ BIER scheyLER ietschmek estieyohr muhSUNN? ]
Was die Türken daraus in ihrer alltäglichen Kommunikation machen, hat nicht viel damit gemeinsam. 
[ Brrschhlrrrtschkormsunn? ]
Ich denke, die Schwierigkeit hierbei wird deutlich. Manchmal denke ich, wenn man ordentlich und akzentfrei Türkisch sprechen möchte, muss man einfach lernen, bei hoher Geschwindigkeit effektiv zu nuscheln.

Lektion 4: Did you learn all that in just two months?
Nun ja, offensichtlich, ja. Könnten wir jetzt bitte wieder dazu übergehen, Türkisch zu sprechen, und den Teil mit den Komplimenten überspringen? Abgesehen davon habe ich nicht mehr gesagt als das, was ich schon nach zwei Wochen Sprachkurs konnte. Ernsthaft, das Wort intensiv impliziert, dass man große Fortschritte innerhalb kurzer Zeit macht. Ist das wirklich so schwer zu verstehen?

Lektion 5: Yabancı mısın?
Ehrlich mal, so eine Frage wäre in Deutschland unter allem Niveau. Hallo, sind Sie Ausländer? Aber man ist hier ja nicht in Deutschland und kennt das Nationalgefühl der Türken ja schon zur Genüge - mehr dazu am 29. Oktober, dem Feiertag der Republik -, darum gewöhnt man sich recht schnell daran, auf diese Frage (die man wirklich sehr häufig zu hören bekommt) nur zu antworten: Ja, ich bin Ausländer. Ist ja auch so. 

Lektion 6: Arkadaşlar, gelecek hafta benle sınıftan sonra üniversiteden yakında çay içmek istiyor musunuz?
Freunde, möchtet ihr nächste Woche nach der Stunde mit mir in der Nähe der Uni einen Chay trinken gehen? Tim musste diese Frage bestimmt dreimal wiederholen, ehe er sich in der Gruppe der Studenten, die nach dem zweimal wöchentlich stattfindenden Türkischkurs an der Yeditepe vor dem Klassenraum standen und sich unterhielten, Gehör verschafft hatten. Ja, möchten wir, kam von allen die einstimmige Antwort, gefolgt von ein paar weiteren Minuten Konversation auf Türkisch. Ich kann diesen unbändigen Stolz nicht so richtig beschreiben, dass ich inzwischen tatsächlich in der Lage bin, ganze - wenn auch simple - Konversationen auf Türkisch zu führen. 

Lektion 7: Sen Türkçe konuşuyor musun?
Du sprichst Türkisch? Jedes Mal, dass ich diese Frage in Begleitung mit einem milde überraschten Gesicht gestellt bekomme, antworte ich inzwischen nur noch lächelnd und mit einem Schwall Sarkasmus: Tabii ki, çok iyi konuşuyorum. Natürlich, sehr gut.

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